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Hatje Cantz fotoblog | Julia Schiller | »7 Fragen an…« FOTOTREFF

Hatje Cantz fotoblog | Julia Schiller
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Note: This series of articles is a reproduction of my articles as a guest blogger for the Hatje Cantz fotoblog in January 2018. · Hinweis: Diese Reihe von Artikeln ist eine Reproduktion meiner Beiträge als Gastbloggerin für den Hatje Cantz fotoblog im Januar 2018.

[Read more in English about FOTOTREFF Berlin #22 on PiB]

Seit 2014 gibt es eine Initiative in Berlin, die PiB (auch als Medienpartner) allen Fotografieinteressierten wärmstens ans Herz legen kann: den FOTOTREFF Berlin – eine Plattform für FotografInnen und BildredakteurInnen und alle, die sich für künstlerische und dokumentarische Fotografie interessieren.

Die regelmäßigen Treffen finden im STUDIO JACOB & REISCHEL in Berlin-Kreuzberg statt, und bieten die Möglichkeit, sich am kritischen Diskurs über die Autorenschaft, das Editieren und das Präsentieren von freien fotografischen Projekten zu beteiligen.
Im kuratierten Programm werden renommierte Gäste vorgestellt, und im weiteren Verlauf des Abends sind alle TeilnehmerInnen eingeladen, eigene Arbeiten oder entstehende Projekte mitzubringen und vorzustellen.

FOTOTREFF Berlin ist initiiert von Winifred Chiocchia, Tobias Laukemper und Anna Charlotte Schmid.

Das FOTOTREFF Berlin Team: Winifred Chiocchia, Tobias Laukemper und Anna Charlotte Schmid. Foto © Hahn + Hartung, 2018

FOTOTREFF #22 findet diesen Samstag statt (20. Januar 2018, 19 Uhr) und stellt die Arbeiten dreier Künstler vor – Beatrice Minda, Norman Behrendt, Anton Roland Laub – die sich mit den Wechselwirkungen zwischen urbanen Strukturen und politischen Systemen befassen.

Im Folgenden nun PiBs »7 Fragen an…« FOTOTREFF Berlin, die die Initiatoren netterweise abwechselnd beantwortet haben:

Wie/wann kamst du zur Fotografie, und was bedeutet Fotografie für dich?

Anna Charlotte Schmid: Als Kind hatte ich so eine kleine “Knipse”. Das Negativ Format war klein und quadratisch, welches man heute gar nicht mehr kennt. Ich hatte keine Ahnung davon, was ein Negativfilm bedeutet.

Meine erste richtige Kamera bekam ich dann von meinem Vater (der Klassiker!), der Maler ist. Da ich nicht mit einem Pinsel umgehen kann, nahm ich meine Nikon FE2 und fotografierte mein Umfeld. Alles, zu dem ich eine emotionale Bindung aufgebaut hatte. Wollte Momente auf etwas Ewigem festhalten. Heute weiss ich, dass ich mittels dieser Bilder die Möglichkeit gesucht habe, mit meinem abwesenden Vater, der weit weg wohnte, eine Verbindung auf einer bildnerischen Ebene aufzubauen. Ich suchte die Nähe über die Kunst. Das hat mich nicht mehr losgelassen: Durch die Fotografie einem Menschen näher zu kommen, sich auszudrücken und mitzuteilen und: die Fotografie als Ausdrucksmittel zum Austausch mit anderen Menschen zu benutzen. Die Fotografie sehe ich als ein Übermittler meiner Sicht auf die Welt.

Später in meinen Studium bei Peter Bialobrzeski lernte ich viel über das Editieren und die Herangehensweise an Projekte. Er war sehr streng und sehr fokussiert auf die Qualitäten jedes einzelnen Stundenden. Ich verstand mehr und mehr das Fotografieren als ein “Innen nach Außen-Filter”. Ein Moment, der persönlich und intuitiv festgehalten wird, muss durch sorgsame Auswahl den Betrachter verständlich gemacht werden und dennoch Offenheit für Interpretation lassen.

Die Fotografie hat für mich zwei Gesichter: Sie ist das Abbild meiner Wahrnehmung dieser/meiner Welt und das, was der Betrachter in meinen editierten Bilder liest.

Bietet Berlin für dich ein gutes Umfeld, um im künstlerischen Bereich tätig zu sein – und wie schätzt du die zukünftige Entwicklung ein?

Anna Charlotte Schmid: Berlin hat einen großen Pool von wirklich guten Fotografen. Es ist die Vielfältigkeit der künstlerischen Arbeiten, die hier produziert und gezeigt wird. Das Umfeld lebt vom Austausch und der Inspiration durch Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, die Berlin zu bieten hat. “Berlin ist arm, aber sexy”. Es ist ein begehrter Ort für Fotografen, die hier unendliche Anregungen finden. Viele Galerien bieten ein umfangreiches Programm von lokalen Fotografen an. Die Stadt ist für mich ein gutes Sprungbrett, um in die künstlerische Welt einzutauchen. Es ist die Frage, was jeder Fotograf daraus macht. Mit der Veranstaltungsreihe FOTOTREFF Berlin ist es mir möglich, mit renommierten Fotografen und Galeristen/Kuratoren in Kontakt zu treten. Dennoch unterscheide ich zwischen meiner eigenen künstlerischen Tätigkeit als Fotografin und der als Teammitglied und Organisatorin für das Fototreff Berlin.

Wie schätze ich die zukünftige Entwicklung ein?
Wenn es in Berlin so weiter geht – dass die Mittel zur Unterstützung von fotografischen Projekten gekürzt werden und die Mieten immer teuerer werden – sehe ich weniger Möglichkeiten für eine finanzielle Freiheit, um dem produktiven Prozess Raum zu geben, den jeder Künstler braucht. Es wird immer Fotografen geben, die hier in Berlin Fuß fassen und die, großartige Ausstellungsmöglichkeiten geboten bekommen oder von hier aus Bücher für den internationalen Markt publizieren und für weltweite Magazine arbeiten können. Irgendwann jedoch ist das künstlerisch-individuelle Berlin ausgeschöpft, dann wird es auch hier für jeden einzelnen Fotografen schwer werden zu überleben. Und so werden einige weiterziehen, in eine noch unentdeckte Welt, um sich vielleicht dort zu verwirklichen.

Ist das Medium Fotobuch wichtig für dich – wenn ja warum, und welche Fotobücher haben dich am meisten geprägt?

Winifred Chiocchia: Für mich sind Fotobücher nicht nur sehr wichtig, sondern sogar unverzichtbar. In einem Zeitalter der sofortigen Befriedigung und unmittelbaren Kommunikation ist ein Fotobuch etwas Besonderes, das eine angemessene Zeit für die Interaktion erfordert.

Wir können uns alleine hinsetzen und beginnen, uns privat mit einem Buch zu beschäftigen, wir können es anfassen, wir können es riechen. Wir können buchstäblich mit der Arbeit leben, die darin gezeigt wird, wir schaffen eine sehr persönliche und intime Beziehung mit dem Buch selbst, mit dem Ergebnis dass wir anschließend einen Dialog mit dem Fotografen eingehen können, der es produziert hat. Ein Fotobuch ist ein einzigartiges Objekt und es ist für immer da, es ist unbestechlich, unveränderlich.

Ein Fotograf, der sich darauf vorbereitet, ein Fotobuch zu produzieren, weiß das gut und deshalb nähert er sich der Umsetzung erst, wenn er sich dafür komplett bereit fühlt. In gewisser Weise ist ein Fotobuch wirklich repräsentativ für einen ganz spezifischen Moment in der Karriere eines Fotografen: Der Moment, in dem er sich bereit fühlt, in einen Prozess der emotionalen – und auch logistischen – Selbstdarstellung einzutreten, der die Zeit überdauern wird.

Wenn ich einige der Fotobücher nennen sollte, die den größten Einfluss auf mich hatten, würde ich sicherlich Sleeping by the Mississippi von Alec Soth erwähnen, ein brillantes Fotobuch mit großformatigen Details über Grenzerlebnisse im Mittleren Westen. Und natürlich würde ich auch The Dream von Fabio Bucciarelli erwähnen. Ein kleines Juwel, das Pinhole-Fotografie mit preisgekrönten fotojournalistischen Aufnahmen vermischt, und dem es gelingt, unsere repetitive Darstellung der Flüchtlingskrise zu durchbrechen, und eine kraftvolle und poetische Geschichte zu erzählen. Weitere Bücher, die ich sehr schätze, sind The Island of the Colorblind von Sanne De Wilde, und I Love You, I’m Leaving von Matt Eich.

Was macht für dich ein “gutes” Bild aus?

Winifred Chiocchia: Ein gutes Foto spricht mich emotional und intellektuell an.
Es hat eine starke Aussage, und diese Botschaft schafft eine intime Beziehung zwischen dem Subjekt, dem Fotografen und dem Betrachter.
Starke, emotionale Fotografien haben die Fähigkeit, Menschen innehalten zu lassen, sie zum Nachdenken zu bringen und zum Handeln zu bewegen.

Wie wird sich die Fotografie in 20 Jahren entwickelt/verändert haben?

Winifred Chiocchia: Wir leben in einer Welt, in der das digitale Bild nahezu unendlich flexibel und in ständiger Entwicklung ist, und in der das Publikum immer mehr fordert, aktiv an der dokumentierten Erfahrung teilzuhaben. Sicherlich werden Video und 3D-Realität ihre Präsenz erweitern, wenn es um Nachrichten oder Dokumentationen geht.

Gleichzeitig glaube ich, dass künstlerische Fotografie und Fotobücher ihren Stellenwert als Kunstobjekte festigen werden, ebenso als Momente friedlicher Stille in einer Welt, die (vielleicht) zu schnell ist.

Abgesehen davon hat die Fotografie seit ihren Anfängen 1839 bis zum heutigen Tage einige unglaubliche Veränderungen erlebt – aber was mehr oder weniger das Gleiche geblieben ist, ist die Tatsache, dass sie die Sicht eines Menschen auf die Welt teilt.

Vor kurzem habe ich einige sehr interessante Artikel über verschiedene Ansätze gelesen, über Fotografie nachzudenken, über die Rolle, die Computervision und künstliche Intelligenz (AI) in der Zukunft spielen werden und wie dies den Status von Bildern verändern wird. Wir haben immer an Fotografie als etwas gedacht, das von Menschen und für Menschen gemacht wird, aber was passiert, wenn Maschinen anfangen zu fotografieren? Der in Berlin lebende Künstler Trevor Paglen untersucht in seiner Arbeit A Study of Invisible Images das Gebiet der “Machine Vision”, um Bilder von Maschinen für andere Maschinen aufzuzeichnen. Paglens Studien zufolge bekommen zeitgenössische Bilder eine zunehmend größere Rolle und werden zu aktiven Teilnehmern der Welt, anstatt nur eine bloße Darstellung davon zu sein. Dies könnte ein sehr interessanter Punkt in der Diskussion über die Zukunft der Fotografie sein.
(Winifred Chiocchia’s answers have been translated from English by PiB; her original answers will be published on PiB’s blog in February 2018)

Was sind deine Lieblingsorte für Fotografie im Berliner Umfeld?

Tobias Laukemper: In Berlin ist die Fotografie vielfältig präsent. Allen voran die großen Institutionen, bspw. das C/O Berlin, die Helmut Newton Stiftung und das Haus am Kleistpark, dann natürlich die vielfältige Galerien- und Projektraumlandschaft. Da finde ich Robert Morat sehr interessant, und die vielen kleineren Galerien wie bspw. Podbielski Contemporary (Anm. von PiB: Beatrice Mindas dortige Einzelausstellung »Dark Whispers« läuft noch bis 20. Januar),  f³ – freiraum für fotografie (Anm. von PiB: Am 1. Februar 2018 um 19 Uhr eröffnet bei f³ in Kooperation mit Hatje Cantz die neue Ausstellung »Kriegskinder«, das gleichnamige Buch von Frederike Helwig und Anne Waak ist 2017 bei Hatje Cantz erschienen), pavlov’s dog, die Galerie fuer Moderne Fotografie oder die aff Galerie und die Fotogalerie Friedrichshain.

In den letzten Jahren haben sich auch Orte etabliert, die den Diskurs durch Gespräche fördern – nicht mehr durch die klassische Frontal- oder Unterrichtsperspektive, wie sie Podiumsdiskussionen oder Panelveranstaltungen oft bieten, sondern in intimer, fast heimeliger Athmosphäre, wie beispielsweise unser FOTOTREFF Berlin, Veranstaltungen der Ostkreuzschule für Fotografie, der Sofatalk im  oder Beyond the Ring(Anm. von PiB: die nächsten beiden Talks in der Beyond the Ring Veranstaltungsreihe finden am 25. Januar 2018 mit Alexander Gehring sowie am 22. Februar 2018 mit Hahn+Hartung statt!)

Durch Buchläden wie 25booksKehrerPro qm oder Motto wird der Diskurs unterstützt, und man kann sich durch diverse Fotobücher, Kunst- und Gesellschafttheorie inspirieren. Nicht vergessen möchte ich auch die Buchmessen wie MissRead oder Friends with Books und spezialisierte Zeitschriftenläden wie Do you read me, die ich sehr gern besuche. So gibt es für viele Positionen und Diskurse auch viele Möglichkeiten der Präsentation.

Gibt es Trends in der zeitgenössischen Fotografie, die dich interessieren?

Tobias Laukemper: Mich interessieren vor allem Serien, in denen die Dokumentations- mit der Autorenfotografie vermischt ist. In diesen Bildern wird eine Geschichte subjektiv erzählt, so wie der Fotograf sie erlebt und bildlich umsetzt. Die Bilder gelten als Argumente oder Handlungsstränge, sie sind teils dokumentarisch, teils abstrakt. Es ist Raum für die eigene Ausführung und Handschrift und doch hat das Ganze eine Art Bodenhaftung und einen Realitätsbezug (bspw. Heinrich HoltgreveJulia SellmannSarah Straßmann).

Ebenso gefallen mir Bilder, die mit dem Digitalen spielen – damit meine ich nicht die Montage oder Veränderung von Bildern sondern die Inszenierung von Künstlichkeit und Ungewohntem. So wird eine Geschichte erzeugt, die Zwischenwelten stattfindet, die zwischen dem Digitalen und dem Analogen liegen, und so für mich auf unsere Zeit rekurrieren (bspw. Werner AmannHahn+HartungRoman Schramm).

In zeitgenössischen Arbeiten spielt das Portrait eine große Rolle um eine Geschichte zu erzählen. Die Storyline wird an einen Protagonisten festgemacht, und die Geschichte kann so sehr nahe an der Situation erzählt werden. Es entsteht eine Empathie mit den Akteuren der Geschichte, und Inhalte können so emotional aufgeladen und vermittelt werden (bspw. Maria SturmTobias ZielonySonja HamadTobias Kruse).

PiB: Herzlichen Dank an euch drei für dieses spannende Interview!

Abschließend ein paar Impressionen vergangener FOTOTREFF Berlin Meetings:

Wer über zukünftige Ausstellungen und Veranstaltungen von FOTOTREFF Berlin (und weitere Fotografie-Highlights in Berlin) informiert werden will, kann sich gerne für PiBs wöchentlichen E-Newsletter anmelden – oder die zweimonatliche erscheinende Printausgabe – den PiB Guide – abonnieren! : )

PiB Guide Nº16 Jan/Feb 2018
Booklet, A6 format, 52 pages
On the cover: Hommage à Zurbarán (Still Life No. 6), New York, 1997, Dye Transfer, 37,2 x 53,5 cm © Evelyn Hofer, Estate Evelyn Hofer; Exhibition at Galerie Springer Berlin.

Julia Schiller, photo by © Oliver Schneider

ÜBER JULIA SCHILLER

Julia Schiller, geboren in Landshut, studierte Mediadesign, Fotografie und Kommunikationsmanagement und begann ihre Laufbahn als Art Director in München, gefolgt von Athen, wo sie für ein paar Jahre lebte und als Kreativdirektorin in der Werbung arbeitete. Seit 2006 ist sie in Berlin beheimatet, wo sie zusammen mit Oliver Schneider das Online-Magazin »Actual Colors May Vary {ACMV}« ins Leben rief. Mit ACMV stellten sie neue Talente in der Fotografie vor, organisierten und kuratierten Ausstellungen & Veranstaltungen in Berlin, und nahmen an internationalen Fotofestivals teil. Motiviert von stets wachsender Leidenschaft für künstlerische Fotografie gründete sie »PiB — Photography in Berlin« im Frühling 2015. PiB ist eine zweisprachige (de/en) Plattform für künstlerische & dokumentarische Fotografie, und widmet sich der Vorstellung ausgewählter Höhepunkte aus Berlins lebendiger Fotografie-Szene – auf PiBs Website, im wöchentlichen E-Newsletter, und im zweimonatlich erscheinenden gedruckten PiB Guide, welcher mittlerweile auch internationale Abonnenten anzieht. Als »ele studio« designen Julia und Oliver für Print & Web und realisieren Websites im kulturellen & sozialen Bereich. Julia ist Mitglied bei SALOON BERLIN, dem Netzwerk für Frauen der Berliner Kunstszene.

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